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„Lasst Euch nicht beirren!“ Herzchirurgin und Gastarbeiter-Kind Dr. Dilek Gürsoy im Interview

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Anke Dembowski

Autorin

27. März 2018

Immigrationshintergrund, Tochter einer Analphabetin: Für Herzchirurgin Dr. Dilek Gürsoy kein Karrierehemmnis. Ein Interview.

herMoney: Frau Dr. Gürsoy, Sie sind in den Medien bekannt geworden durch ein Treffen mit Angela Merkel. Wie kam dieses Treffen zustande?

Dr. Dilek Gürsoy: Der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hatte das Treffen organisiert. Als die Bundeskanzlerin zu einem Wahlkampfauftritt nach Neuss kam, hat er dafür gesorgt, dass wir uns getroffen haben.

Über was haben Sie mit Frau Merkel gesprochen?

Wir haben über den Mangel an Organspenden und über entsprechende Alternativen gesprochen. Ich hatte damals ein Kunstherz dabei und habe ihr erklärt, wie man das operiert und vor allem, wie es funktioniert. Sie war wirklich interessiert, wollte wissen, wo das System hergestellt wird – in den USA! Und natürlich habe ich der Kanzlerin dann von meinem Forschungsprojekt erzählt: Wir arbeiten an der Entwicklung eines neuen, deutschen Kunstherzens ohne Kabel!

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Und was hat Sie an dem Treffen mit der Bundeskanzlerin besonders beeindruckt?

In live wirkt sie viel souveräner als über die Medien. Ich hatte zudem das erste Mal das Gefühl, dass da jemand wirklich versteht, worum es geht, wenn ich vom pneumatischen Abtrieb des Kunstherzens spreche. Sie stellte viele Fragen, die mir zeigten, dass sie mir sehr aufmerksam zugehört hat – das war nicht schlecht!

Sie sind Tochter von Migranten und haben in Deutschland eine beeindruckende Karriere als Herzchirurgin hingelegt. Wie kam es dazu?

Jedem Kind einer Migrantenfamilie wird vorgegaukelt, dass es entweder Arzt oder Anwalt wird. Schließlich soll es etwas erreichen und nicht in der Fabrik arbeiten müssen wie vielleicht die Eltern. Meine Mutter kommt aus einem bäuerlichen Umfeld und war Analphabetin. Als ich ihr sagte, dass ich Ärzten werden möchte, meinte sie: „Kind, es reicht auch, wenn Du Apothekerin wirst.“ Aber ich wollte lieber Ärztin werden und am liebsten handwerklich arbeiten. Deshalb also Chirurgin. Die Spezialisierung auf Herzchirurgie hat sich dann erst während meines Studiums ergeben.

Haben Ihre Geschwister ähnliches erreicht wie Sie?

Ich habe zwei Brüder – und keiner hat studiert. Der eine hat eine Chemie-Ausbildung gemacht und der andere arbeitet in einer Bank. Sie wollten nicht studieren. Nachdem mein Vater gestorben war, wollten sie schnell Geld nach Hause bringen, um meine Mutter zu entlasten.

In Ihrem Beruf sind Sie eine ausgesprochene Spezialistin. Wie wird das von Ihren männlichen Kollegen gesehen?

Das wird gerne ignoriert. Meine männlichen Kollegen kommen nicht gut damit klar, dass ich etwas kann, das sie vielleicht weniger gut können. Ich bin eine Frau, noch dazu mit Migrationshintergrund. Außerdem bin ich so, wie ich bin: Ich habe eben ein sehr sonniges Gemüt und ich weiß, was ich kann. Das sage ich auch jeden Tag. Daran stören sich manche.

Die Krone der Schöpfung im medizinischen Bereich ist doch sicherlich, Chefärztin zu werden. Ist das auch ihr Ziel?

Auf jeden Fall! Ich kann in der Herzchirurgie etwas – besser als so mancher Chefarzt, der die Position bereits innehat. Sicherlich kann ich noch etwas lernen, aber ich bin gut in dem was ich tue. Klar möchte ich Chefärztin werden!

Wie hoch ist eigentlich die Frauen-Quote unter den Chefärzten?

Sehr niedrig. In der Anästhesie und der Inneren Medizin gibt es einige wenige, aber in der Herzchirurgie kenne ich aktuell keine weibliche Chefärztin.

 Woran liegt das? Ist das ein Gender-Thema?

Auf jeden Fall! Klar gaukeln die aktuellen Chefs vor, dass sie auch Frauen fördern. Aber in Wirklichkeit tun das die meisten eben doch nicht, insbesondere nicht im Bereich der Herzchirurgie.

Hilft es, einen Mentor aus dem eigenen Fachbereich zu haben, der einen fördert?

Ja, das ist das A und O. Ein Chef muss echte menschliche Größe haben, um zu sagen: Sie kann das und sie soll das machen! Und er muss das dann auch durchsetzen und einen machen lassen.

 Wenn Frauen etwas können, trauen sie sich oft nicht zu sagen „hey, ich bin gut!“. Was raten Sie jungen Frauen, die ein berufliches Ziel haben?

Das Wichtigste ist, sich nichts einreden zu lassen. Wenn man ein Talent hat, von sich überzeugt ist und tatsächlich gut ist, dann sollte man das auch deutlich sagen. Wichtig ist, dass man an dem, was man tut, Spaß hat und eine echte Leidenschaft entwickelt. Wenn das alles so ist, dann muss man es einfach machen. Natürlich nicht, wenn es einem körperlich oder seelisch zu schaffen macht. Aber wenn es geht, dann ran! Dann muss man an sich glauben und auf seinem Ziel beharren und darf sich nicht von Leuten mit vermeintlich guten Ratschlägen beirren lassen.

Medizin ist ein Fach mit einem hohen Numerus clausus. Schaffen das in unserem Schulsystem Mädchen besser als Jungs?

Ja, Mädchen lernen in der Schule erst einmal besser. Ich muss allerdings sagen, dass ich in der Schule nicht so tolle Noten hatte. Damals zählte der Mediziner-Test auch sehr und über den habe ich dann meinen Studienplatz bekommen.

Noch eine private Frage: Wie wirkt Ihr Job privat auf Männer – zum Beispiel in der Disco?

Im ersten Moment denken die Männer vielleicht: „Wow, so eine Frau will ich auch mal haben“. Aber dann kriegen sie doch Angst. Ich glaube, beim nächsten Mal, wenn ich jemanden kennen lerne, sage ich erst mal, dass ich Krankenschwester bin! Dann haben die weniger Angst (lacht).

Ein weiteres Interview mit Dilek Gürsoy:

Dr. Dilek Gürsoy

 

Dr. Dilek Gürsoy ist Herzchirurgin und hat sich durch ihre Expertise in der Kunstherztherapie einen Namen gemacht: Sie war die erste Frau in Europa, die einem Patienten ein komplettes Kunstherz einsetzte. Ihre Eltern kamen als türkische „Gastarbeiter“ nach Deutschland.

 

 

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Anke Dembowski

Autorin

Anke Dembowski ist Finanzjournalistin und Autorin verschiedener Investmentfonds- und anderer Finanzbücher. Sie ist außerdem Mit-Geschäftsführerin des Netzwerks „Fondsfrauen".