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Wie geht es 2023 an den Börsen weiter, Frau Dr. Traud?

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Floriana Hofmann

11. Januar 2023

Aktien, Inflation und Zinsen: Was Dr. Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Helaba, für 2023 erwartet, erzählt sie im Interview.

Das Börsenjahr 2022 war überschattet vom Krieg in der Ukraine. Die Börsen brachen nach Kriegsbeginn ein. Zwischenzeitlich ging es aber dann doch wieder stark nach oben, in sogenannten Bärenmarktrallys. Mit Blick in den Rückspiegel: Wie bewerten Sie das abgelaufene Börsenjahr?

Krieg, Lieferkettenprobleme, Inflation, Zins- und Wachstumsängste waren ein nicht nur für Aktien toxischer Mix. Rund um den Globus gaben die Indizes zwischenzeitlich um mehr als 20 Prozent nach und rutschten damit in einen Bärenmarkt. Aber auch mit Renten wurden zweistellige Verluste eingefahren. Damit war 2022 für AnlegerInnen ein ausgesprochen schlechtes Jahr.

Die Inflation kletterte 2022 nahezu weltweit auf Rekordhöhen. Mit welchen Inflationsraten rechnen Sie 2023?

Nach dem starken Anstieg der deutschen Inflationsrate auf 7,9 Prozent im vergangenen Jahr erwarten wir für 2023 einen Wert von etwa 6 Prozent. Durch den Ukraine-Krieg sind die bereits zuvor bestehenden inflationären Tendenzen deutlich verstärkt worden. Nun kündigt sich eine leichte Entspannung an. Die deutschen Vorproduktpreise sind zuletzt nicht mehr ganz so stark gestiegen. Hinzu kommt, dass Heizöl, Benzin und Diesel zum Teil deutlich günstiger geworden sind, auch weil der Euro aufgewertet hat. Zusätzlich lassen staatliche Preisdämpfungen bei Strom und Gas 2023 eine Trendwende bei der Inflation erwarten.

Trotzdem bleibt das Inflationsproblem vorerst weiter virulent. Selbst für 2024 erwarten wir mit 3,5 Prozent für Deutschland noch eine Konsumentenpreissteigerung deutlich über dem, was sich die Europäische Zentralbank (EZB) wünscht. Die Lohnabschlüsse werden weiterhin hoch ausfallen. Der demografische Wandel wirkt sich hier aus. Der deutsche Mindestlohn ist deutlich gestiegen. Dessen Überwälzung dürfte auch 2023 zu spüren sein. Zudem wird eine expansivere Fiskalpolitik betrieben. Die weltweiten Lieferkettenprobleme haben sich zwar etwas verringert. Der globale Protektionismus wird, wie der Klimaschutz, mittelfristig auch das Preisniveau für die Verbraucher erhöhen.

Notenbanken wie die Europäische Zentralbank und die US-Notenbank Fed hoben 2022 zur Bekämpfung der Inflation mehrfach die Zinsen massiv an, was die Aktienmärkte belastete. Halten Sie den Kurs der Notenbanken für richtig und welche Erwartungen haben Sie an die weitere Zinspolitik?

Alle Notenbanken brauchen wieder eine eindeutige Fokussierung auf die Inflationsbekämpfung. Die globalen Umstände sprechen für langfristig höhere Inflationsraten, selbst wenn die Teuerung aufgrund sinkender Energiepreise wieder abebbt. Ein insgesamt höheres Zinsniveau erscheint daher gerechtfertigt. Die Zeit der Megazinsschritte von 75 Basispunkten dürfte gleichwohl vorbei sein. Für das erste Quartal wurden zwar weitere Zinsanhebungen angekündigt. Danach sollte an der Zinsfront allerdings Ruhe einkehren. Die Notenbanken dürften in Wartestellung gehen und die Wirkung ihrer Maßnahmen abwarten.

Mit steigenden Zinsen steigt auch das Risiko für eine Rezession. Erwarten Sie eine Rezession in den USA und in Europa? Falls ja, wie scharf dürfte diese ausfallen?

In den USA ist die Geldpolitik so schnell so stark gestrafft worden, dass es fast eines Wunders bedürfte, damit es keine deutliche Abschwächung der Konjunktur gibt. Wir rechnen hier aber mit einem sehr milden Rückgang, auch und gerade am Arbeitsmarkt. Der reale Einkommensverlust durch die Inflation wird in diesem Jahr wieder deutlich geringer sein als 2022. Dies stützt die Nachfrage. Schwäche dürfte sich vor allem am US-Wohnungsmarkt zeigen. Die Eurozone wird 2023 durch hohe Energiepreise und gestiegene Kapitalmarktzinsen gedämpft. Deutschland dürfte im ersten Quartal einen Rückgang der Wirtschaftsleistung aufweisen. 2023 wächst die Wirtschaftsleistung in der Eurozone aber immerhin um 0,6 Prozent. Das deutsche Wachstum sollte stagnieren.

Was erwarten Sie 2023 für die Aktienmärkte? Wie hoch schätzen Sie, angesichts zahlreicher Unsicherheitsfaktoren, die Gefahr für einen Crash ein?

Mit den deutlichen Kursrückgängen in 2022 haben Aktien bereits sehr viel Negatives vorweggenommen. Inzwischen steht die Börsenampel aber auf Grün. Unser neuer Helaba-BEST-Indikator, der Bewertung, Stimmung und Technik in sich vereinigt, hat im Herbst bereits ein Kaufsignal geliefert. Der DAX ist moderat bewertet und dürfte bis Jahresende wieder die 16.000-Punkte-Marke erreichen. Angesichts politischer Unwägbarkeiten ist jedoch das Risiko weiterer Rückschläge überdurchschnittlich hoch. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent wird der DAX in Richtung 10.000 Punkte fallen.

Tech-Aktien litten 2022 massiv unter den gestiegenen Zinsen. Denn Technologiekonzerne sind oft hoch verschuldet, da sie viel investieren. Höhere Zinsen machen aber die Schuldentilgung teurer, was dann die Gewinnmarge belastet. Außerdem sind InvestorInnen in Zeiten höherer Zinsen weniger bereit, höhere Risiken einzugehen. Die zukünftig erwarteten Gewinne der Unternehmen sind aus heutiger Sicht weniger wert, sie werden mit einem höheren Zinssatz diskontiert. Das Umfeld für Tech-Aktien dürfte also erstmal schwierig bleiben. Sind die niedrigen Bewertungen vieler Tech-Aktien jetzt ein Zeichen dafür, dass sie günstig zu haben sind, oder sollten AnlegerInnen auch auf andere Kriterien wie Geschäftsmodell oder Gewinn achten?

Ein altes Sprichwort sagt: „Manchmal ist geschenkt noch zu teuer.“ Optisch günstige Bewertungen allein sind als Investitionskriterium zu wenig. Es kommt darauf an, dass Unternehmen über ein tragfähiges Geschäftsmodell verfügen, das für die kommenden Jahre hohes Gewinnwachstum verspricht.

Sind angesichts steigender Zinsen Anleihen eine Alternative zu Aktien?

AnleiheinvestorInnen dürften mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf 2022 zurückblicken. Einerseits waren rekordhohe Ertragsverluste bei deutschen Staatsanleihen von rund 17 Prozent zu verzeichnen. Andererseits wurde das unattraktive Negativzinszeitalter zügig überwunden. Die Rendite fünfjähriger Bundesanleihen kletterte am Jahresende immerhin auf 2,5 Prozent. Pfandbriefe notierten bei über drei Prozent. Das erste Halbjahr 2023 dürfte eher noch von Unsicherheit geprägt sein. Schwächephasen könnten dann allerdings zum Einstieg genutzt werden. Spätestens zur Jahresmitte 2023 sollte das zyklische Hoch bei den Leitzinsen erreicht sein. Dies gibt erfahrungsgemäß Spielraum für Kursgewinne. Insgesamt hat sich das Chance-Risiko-Verhältnis am Rentenmarkt deutlich verbessert.

Unternehmen aus dem Energiesektor zählten zu den wenigen Gewinnern im Jahr 2022. Geht diese Rally 2023 weiter?

Der Energiesektor war ein klassischer Krisengewinner. In unserem Basisszenario einer Erholung an den Aktienmärkten dürften Energietitel ins Hintertreffen geraten.

Gerade im Bereich der fossilen Energieträger machten die Unternehmen 2022 massive Gewinne. Kann man in einem solchen Umfeld überhaupt noch nachhaltig investieren? Kann es sich 2023 (wieder) lohnen, nach ESG-Kriterien zu investieren?

ESG ist keine Modeerscheinung. Mit Abflachen der krisenhaften Rahmenbedingungen wird dieser Megatrend wieder in Erscheinung treten.

Der Ukraine-Krieg und die damit einhergehenden hohen Energiepreise sind nicht die einzigen Risikofaktoren. In diesem Jahr dürfte uns auch weiterhin die angespannte Corona-Situation in China beschäftigen. Wie geht es dort 2023 weiter?

Die meisten Modellsimulationen lassen kurzfristig einen rasanten Anstieg der Infektionszahlen erwarten. Je nachdem wie ansteckend die aktuellen Virusvarianten sind, wird das Hoch wohl im ersten oder spätestens im zweiten Quartal sein – mit einem deutlichen Abklingen der Pandemie in der Folge. Während das insbesondere die chinesische Binnenkonjunktur belasten wird, könnten die negativen Auswirkungen auf Produktion und Exporte sogar geringer sein als im Falle eines langwierigen und letztlich doch zum Scheitern verurteilten Festhaltens an den Lockdowns der Null-Covid-Politik.

Bei all den Unsicherheitsfaktoren: Wo, beispielsweise in welchen Branchen und Regionen oder in welchen Szenarien, gibt es 2023 Chancen für AnlegerInnen?

Wir sehen im Basisszenario die größten Chancen bei Aktien. Euro-Titel haben hier zunächst Bewertungsvorteile. Mit dem absehbaren Ende des Zinserhöhungszyklus dürften aber auch Technologietitel, die im S&P 500 ein relativ hohes Gewicht einnehmen, wieder deutlich Boden gutmachen.

Gold gilt gemeinhin als sicherer Hafen. Was erwarten Sie für den Goldpreis?

2022 war für Gold ein herausforderndes Jahr. Trotz einer Rekordinflation sowie dem Krieg in der Ukraine konnte sich das Edelmetall über weite Strecken weder als sicherer Anlagehafen noch als Inflationsschutz behaupten. Das lag überwiegend an der starken Konkurrenz durch den Rentenmarkt. Der rasche und kräftige Zinsanstieg hat zu einer Verschiebung unter den Assetklassen beigetragen, beispielsweise waren Renten und Aktien größtenteils positiv korreliert. 2023 sollte sich dies so nicht wiederholen. Vielmehr werden die Anleger prüfen, wann der Zinsgipfel erreicht ist. Dann wird das Edelmetall wieder zunehmend gefragt sein, als Inflationsschutz ebenso wie als sicherer Anlagehafen. Ende 2023 dürfte sich Gold oberhalb von 1.900 US-Dollar je Feinunze festigen. Die Rekordmarke von über 2.000 US-Dollar je Feinunze sollte indes erst mit erneuter Zinssenkungsphantasie in Angriff genommen werden.

Für Krypto-InvestorInnen war 2022 ein schwarzes Jahr. Geht der sogenannte „Krypto-Winter“ weiter, oder ist ein Boden gefunden?

Investitionen in sogenannte Kryptowährungen sind mit extrem hohem Risiko verbunden. Die Volatilität ist sehr hoch und es drohen auch Totalverluste. Das Spektrum ist mit zehntausenden von Kryptoassets zudem unüberschaubar und so ist äußerste Vorsicht angeraten. Konkrete Prognosen geben wir nicht.

Zur Person: Dr. Gertrud Traud ist Chefvolkswirtin, bzw. Head of Research & Advisory, bei der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba).

herMoney Tipp

Das waren jetzt viele Informationen auf einmal, oder? Aber was bedeutet das jetzt für dich als Anlegerin? Ganz grundsätzlich sieht Traud die Aussichten, insbesondere für Aktien, dann doch recht positiv, trotz der vielen Unsicherheiten. Das zeigt, was auch wir von herMoney immer wieder sagen: Setze nicht alles auf eine Karte, sondern streue dein Risiko – über ETFs oder aktive Fonds. Über einen Sparplan kannst du auch schon mit kleinen Beträgen an der Börse aktiv werden.

Wenn du unsicher bist, und bei deinem Start an der Börse gerne an die Hand genommen werden möchtest, dann melde dich jetzt für unser Coaching an. Oder triff uns persönlich auf unserem großen Festival am 06. Mai 2023 in München. Mehr Infos zum herMoney Festival findest du hier.

Zum Weiterlesen: Einen Artikel über die besten Sparpläne auf den MSCI World findest du hier. Was 2023 sonst noch wichtig wird, kannst du hier nachlesen.

Disclaimer: Aktien, Fonds und ETFs unterliegen Kursschwankungen; damit sind Kursverluste möglich. Bei Wertpapieren, die nicht in Euro notieren, sind zudem Währungsverluste möglich. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die Zukunft. Die Auswahl der Wertpapiere und sonstigen Finanzinstrumente dient ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Kaufempfehlung dar.

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Floriana Hofmann

Die Finanzjournalistin Floriana Hofmann war Content Lead bei herMoney. Sie schreibt seit mehreren Jahren für Finanzmedien über Aktien und Börsenthemen. So war sie etwa beim Finanzen Verlag als "Leitung Digital" für die Online-Redaktion von "Börse online" und "Courage" verantwortlich.